Es scheint fast geschafft. Boris Herrmann hat das gefürchtete Kap Hoorn gerundet. Unter gruseligen Bedingungen, bei Sturm und Nebel, nach einem Schaden am Großsegel nur unter der kleinen Fock J3 segelnd. Nun gilt es „nur noch“ allein an Bord die restlichen rund 7.000 Seemeilen über den Atlantik bis zum Ziel der Vendée Globe vor Les Sables d‘ Olonne zu bewältigen. Und dabei möglichst viele verlorene Meilen wieder aufzuholen. In einer Video-Pressekonferenz live von Bord schilderte er am Dienstag (5.1.), wie ihn der Schaden am Großsegel fast zum Aufgeben gezwungen hätte.
Übermüdet, erschöpft, aber zufrieden stellte sich Boris Herrmann am Dienstag den Fragen der Journalistinnen und Journalisten. Das Bild von Bord ruckelte und blieb oft ganz stehen, im Hintergrund sah man eine neblige, scheinbar undurchdringliche Wolkenwand, im Cockpit leuchteten noch die paar Reste von bunten Girlanden auf, mit denen der deutsche Hochseesegler ganz allein den Jahreswechsel zelebrierte. Doch das neue Jahr 2021 meint es mit Boris Herrmann nicht gut. Erst hatte er Probleme mit dem Generator, dann Riss im Sturm das Achterliek seines Großsegels.
„In den letzten 24 Stunden habe ich nur wenige Stunden Schlaf bekommen, vielleicht so zwei oder drei, aber seit zehn Minuten weiß ich, dass an Bord alles wieder in Ordnung ist, das ist ein ungeheures Glücksgefühl“, sagte er. Fast einen Tag dauerte die Reparatur, so lange konnte Boris Hermann nur unter Fock segeln. „Im Sturm, bei rund 45 Knoten, in den immer wieder brechenden Wellen mit viel Wasser an Deck, habe ich Sikaflex auf das Tuch aufgetragen und es dann zwölf Stunden aushärten lassen“, berichtete er. „Das Sikaflex nimmt nun die strukturelle Last auf einer großen Fläche auf und ich kann weitersegeln.“
Die Erleichterung über die erfolgreiche Reparatur war ihm deutlich anzumerken. Vor dem Passieren des Kap Hoorn war ihm beim Einbinden des dritten Reffs – eigentlich inzwischen eine Routinearbeit an Bord – ein Malheur unterlaufen. Das Achterliek klemmte hinter dem Want und riss zwischen dem zweiten und dritten Riff. Wäre das Tuch des Großsegels bis zum Mast weitergerissen, hätte dies das „Aus“ für den deutschen Segler bei der Weltregatta bedeutet. „Ich bin dankbar für jeden Tag, den es weitergeht“, sagte Boris Herrmann nachdenklich. „Nach Problemen mit dem Generator kam nun der Riss im Segel hinzu. Mein Ziel ist es aber, dass Rennen zu beenden und nicht von Ushuaia mit dem Flugzeug nach Hause zu kommen.“
Die Schäden an Bord haben ihn rund 40 Meilen zu den Führenden und viele Plätze gekostet, derzeit ist er auf den elften Platz abgerutscht. Unter diesem negativen Eindruck fiel auch die geplante kleine Zeremonie an Bord für die geglückte Umrundung des letzten Kaps der Reise aus. Die Südspitze des Kontinents präsentierte sich im Nebel, als Boris Herrmann – nur unter Vorsegel – zum fünften Mal in seinem Leben die berühmte Landmarke passierte. Unsicher, ob die Reparatur des Segels gelingen würde, war ihm nicht nach Feiern zu Mute, die kleine Portion Whiskey an Bord spart er sich nun für den Atlantik auf, wenn es gelungen ist, wieder einige Konkurrenten zu überholen oder den Äquator zu passieren.
Noch liegen fast 7.000 Seemeilen zwischen ihm und dem Ziel vor der französischen Hafenstadt Les Sables d‘Olonne, wo er Ende Januar erwartet wird. Boris Herrmann hofft, nun, wo er das stürmische Südmeer verlassen hat und zum „Homerun“ über den Atlantik startet, endlich das wahre Speedpotenzial seiner Yacht, die im letzten Winter mit neuen, großen Foils ausgestattet wurde, ausschöpfen zu können.
Denn das ist eine der großen Überraschungen des Rennens: Die neuen Yachten mit beeindruckend großen Foils sind den älteren Schiffen, die teilweise ohne oder nur mit kleinen Foils ausgestattet sind, gar nicht überlegen. Yannick Bestaven, der derzeit das Gesamtklassement anführt und ein Schiff mit kleinen Foils segelt, war zu Beginn des Rennens noch direkter Konkurrent von Boris Herrmann. „Keiner von uns hat damit gerechnet, dass Yannick bei dem Rennen so gut dabei sein wird. Aber er konnte sein Boot im Southern Ocean richtig pushen“, sagt Boris Herrmann mit leichter Enttäuschung über seine eigene Platzierung. „Aber auch Damien Seguin, der derzeit auf Platz drei liegt, segelt ein älteres Boot ohne Foils. Normalerweise, bei Regatten vor der französischen Küste, sehen wir ihn noch zwei Stunden nach dem Start und dann nie wieder. Es ist erstaunlich, was er bei diesem Rennen für eine beeindruckende Leistung zeigt.“
Doch mit dem Optimismus und Kampfgeist, mit dem er bisher jede Widrigkeit während der Weltregatta gemeistert hat, will Boris Herrmann auf dem Atlantik angekommen noch einmal angreifen. Jetzt will er allen zeigen, welches Speedpotenzial tatsächlich in seinem Schiff steckt, wenn es sich nicht durch sechs Meter hohe Wellenberge kämpfen muss, sondern sich bei Windbedingungen von 15 bis 25 Knoten und zwei Metern Wellenhöhe ideale „Flugbedingungen“ einstellen.
„Die Vendée Globe ist nicht nur ein Rennen – es ist auch ein Abenteuer“, betonte Boris Herrmann. „Das merkt man an solchen Herausforderungen wie gestern und heute. Ins Ziel zu kommen ist nicht selbstverständlich. Bei einem Rennen, wo alle sicher ankommen, da gibt es nur den sportlichen Aspekt. Aber hier ist das Ankommen schon so eine große Leistung!“