Fast 50 Seglerinnen und Segler stellten sich an den beiden letzten Oktoberwochenenden der jährlichen Kadersichtung in Kiel-Schilksee. Am Bundesstützpunkt des DSV führten die 14- bis 18-Jährigen intensive Gespräche, zeigten ihr theoretisches und praktisches Wissen und bewiesen ihre Fitness. Auch eine Olympia-Medaille aus Tokio machte die Runde unter den Nachwuchshoffnungen des deutschen Segelsports.
Talente entdecken, fördern und an die Spitze begleiten – mit diesem Ziel lädt das Leistungssport-Team des DSV jedes Jahr hoffnungsvollen Segelnachwuchs zu den Sichtungslehrgängen ein. Wer eingeladen wird, hat auf Landes- und Bundesebene sein Können bereits unter Beweis gestellt. Im nächsten Schritt geht es darum, die Weichen für eine Karriere im Leistungssport zu stellen.
Denn seglerisches Talent allein reicht nicht aus, um an die Spitze zu kommen. Erfolg hat viele Standbeine, unter anderem Schule und Ausbildung, die körperlichen Voraussetzungen und – ganz wichtig – die nötige mentale Stärke.
Um den jungen Seglerinnen und Seglern aus dem gesamten Bundesgebiet ein breites Beratungsangebot machen zu können und möglichst viele Facetten ihrer Persönlichkeit kennenzulernen, brachte Bundesstützpunkt-Leiter Hendrik Ismar zur Sichtung ein Team aus Sportwissenschaftlern, Sportpsychologen, Ernährungswissenschaftlern und aktiven Leistungsseglern in Schilksee zusammen. Aus dem DSV-Leistungssportteam waren neben Hendrik Ismar die Leistungssportreferentin Lea Spitzmann sowie die Bundesfreiwilligendienstlerinnen Anja Mammen, Jule von Appen und Jannik Hohmann an Planung und Durchführung beteiligt.
„Nach der vom Oktober 2020 auf den April 2021 verschobenen Online-Sichtung fand die Sichtung erstmals seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie in Präsenz statt“, sagte Hendrik Ismar, der sich freute, den Sportlern persönlich und nicht nur vor dem Bildschirm zu begegnen. „Ein durchdachtes Hygienekonzept und eine hohe Impfquote verbunden mit zahlreichen Tests machten dies möglich.“
Gemeinsam mit ihren Landestrainer*innen durchliefen die Nachwuchstalente aus den Klassen iQFOiL, FormulaKite, 420er, ILCA 4, ILCA 6 und 29er ein intensives Programm.
Dabei war der erste Schritt, zu verstehen, wie das Kadersystem des DSV überhaupt funktioniert. „Das Vorwissen ist hier sehr unterschiedlich“, so der Bundesstützpunkt-Leiter. „Daher bringen wir mit einer Theorieeinheit erstmal allen näher, wie die Verbandsförderung in der Nationalmannschaft aufgebaut ist und was Sportler beachten müssen.“
Funktionelle Leistungsprüfung im Kraftraum
Wer über mehrere Jahre auf höchstem Niveau segeln möchte, muss körperlich topfit sein. Daher bilden umfangreiche Tests im Kraftraum eine wichtige Säule der Sichtung. Crossläufe und Bankdrücken seien in der Diagnostik nicht mehr zeitgemäß, so Ismar: „Bei uns steht eine funktionelle Leistungsprüfung im Mittelpunkt, bei der für alle die gleichen Bedingungen herrschen.“
Die 14- bis 18-Jährigen müssen dabei noch keine austrainierten Leistungssportler sein, aber es ist wichtig, im Jugendalter die Weichen für ein beschwerdefreies Training zu stellen. Athletiktrainer Hanspeter (HP) Lange und Sportwissenschaftler vom Olympiastützpunkt Hamburg/Schleswig-Holstein schauten sich jede Seglerin und jeden Segler genau an: Bestehen Dysbalancen oder Asymmetrien, die mit gezielten Übungen und Behandlungsplänen korrigiert werden können?
„Spätestens ab 18 müssen unsere Sportler ins Hochleistungstraining einsteigen, um international eine Chance zu haben. Da ist es wichtig, eventuelle Defizite vorher auszugleichen“, erklärt Hendrik Ismar.
Sportlergespräch: Wo stehe ich, wo will ich hin?
Ein starker Körper ist eine wichtige Voraussetzung, um als Segler erfolgreich zu sein. Mindestens ebenso wichtig ist aber, dass die Motivation und die Begleitumstände für eine Karriere im Leistungssport stimmen. Jede Sportlerin und jeder Sportler absolvierte vor dem Sichtungs-Wochenende eine umfangreiche sportpsychologische Online-Befragung.
Im „Sportlergespräch“ bei der Sichtung ging es um die großen Fragen: Welche Ziele habe ich? Wo stehe ich heute, und welche Schritte bringen mich meinem Ziel näher? „Den Sport, die Schule und später Ausbildung oder Uni unter einen Hut zu bekommen ist eine der größten Herausforderungen für unsere Sichtungskandidaten“, sagte Hendrik Ismar. „Im Gespräch konnten wir viele Fragen direkt klären, Ansprechpartner in den Ländern vermitteln und blinde Flecken in der Karriereplanung beleuchten.“
Faszination Olympia
Das große Ziel für alle Kader-Kandidatinnen und -kandidaten ist klar: eine Medaille bei den Olympischen Spielen. Seit dem Sichtungswochenende wissen alle zumindest, wie sich so eine Medaille anfühlt: Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer kamen zum Impulsvortrag und brachten ihre Nacra 17-Bronzemedaille aus Tokio mit.
Vorschoterin Alica, selbst erst 21 Jahre alt, berichtete von ihrem Weg aus der Jugendförderung in den Spitzensport und betonte: eine Segelkampagne verlangt Einsatz mit Haut und Haar. Auch Anastasiya Winkel und Svenja Weger erzählten beim Sichtungslehrgang von ihrem Weg, gaben den Nachwuchsseglerinnen Einblick in Höhen und Tiefen ihres Lebens für und mit dem Leistungssport.
„Segeln ist ein Erfahrungssport, der vom Austausch zwischen den Generationen lebt“, sagte Hendrik Ismar. „Daher legen wir großen Wert darauf, dass unsere Nachwuchssegler keine Berührungsängste haben und die Olympiasegler persönlich kennenlernen.“ Im German Sailing Team gäbe es einen großen Wissens- und Erfahrungsschatz, so Hendrik Ismar, „und wir möchten, dass dieses Wissen weitergegeben wird.“
Wer am Ende Teil des German Sailing Teams wird, steht nach Tagung des Kader- Gremiums Anfang Dezember 2021 fest, ab dem 01.01.2022 beginnt der Kaderstatus. Das letzte Wort hat ein Fachgremium aus Sportdirektorin, dem Vizepräsidenten Leistungssport, dem Cheftrainer, dem jeweiligen Bundestrainer Nachwuchs, der Aktivensprecherin und dem Bundesstützpunkt-Leiter. Doch auch wenn es in diesem Jahr vielleicht noch nicht gereicht hat, bietet die Sichtung wertvolle Impulse für die kommende Segelsaison und das Training im Heimatverein.
Wir danken allen Beteiligten für zwei gelungene Sichtungswochenende. Unser besonderer Dank gilt dem Heinz Nixdorf Verein zur Förderung des Segelsports e.V., der die Sichtungsveranstaltung unterstützt hat.