Nach 80 Tagen, 14 Stunden, 59 Minuten und 45 Sekunden überquerte Boris Herrmann am Donnerstag um 11.19 Uhr die Ziellinie vor Les Sables d’Olonne. Mit leuchtenden Seenotsignalfackeln in der Hand winkte er den Besatzungen der Motorboote zu, die ihm auf See entgegenkamen. Rund drei Stunden später konnte er endlich seine Frau und die gemeinsame Tochter wieder in die Arme schließen.
Es gibt wohl kaum einen emotionaleren Moment als zu sehen, wie die Positionslichter einer Yacht bei trübem Wetter und schlechter Sicht näherkommen, wenn sich nach und nach die Umrisse der Yacht abzeichnen und die Gestalt des Skippers zu erkennen ist. Heute Morgen, kurz nach 11 Uhr, war es endlich soweit. Boris Herrmann an Bord der grauen „Seaexplorer Yacht Club de Monaco“ näherte sich der Ziellinie der härtesten Regatta der Welt.
Auch wenn Boris Herrmann nach der heftigen Kollision Mittwochabend mit einem Fischtrawler, die ihm die Platzierung auf dem Podium gekostet hat, deutlich später als erhofft das Ziel erreichte: Beim Anblick der Menschen, die ihn nach 80 Tagen allein an Bord willkommen hießen, war auch ihm nach Feiern zumute. Denn er hat sein Ziel erreicht, das er während des gesamten Rennens immer wieder betont hat. Ankommen. Und sich damit seinen bisher größten seglerischen Traum erfüllen. Wie es sich gehört, zündete er zwei Seenotsignalfackeln an und winkte damit seinen Teammitgliedern und den Kamerateams zu, die ihm entgegenfuhren.
„Mir geht es gut“, sagt er kurz nach dem Zieleinlauf. „Es war großartig, das Ziel zu erreichen, die Gesichter in den Booten zu sehen, die man zwar durch die Masken erst nicht erkennen kann, aber an deren Augen man sieht, dass sie einem zulächeln.“
Drei Stunden später, bei auflaufend Wasser, lief er mit der „Seaexplorer Yacht Club de Monaco“ durch den Kanal in den Hafen von Les Sables d’Olonne ein. Parallel mit Damien Seguin, dem zweifachen Goldmedaillengewinner in der paralympischen 2.4mR Klasse, der als erster Segler mit einem Handicap an dem Rennen teilgenommen hatte. Seguin, dem von Geburt an die linke Hand fehlt, kommt im Gesamtklassement auf einen beachtlichen sechsten Platz.
„Eine Vendée Globe zu schaffen, ist nicht nur die Leistung des einzelnen Seglers, sondern die des gesamten Teams“ – Tim Kröger
Als Boris Herrmann an Bord der lädierten Yacht, der man deutlich die Schäden nach der Kollision mit dem Fischtrawler ansieht, im Hafen ankam, war seine Frau Birte mit der siebeneinhalb Monate alten Tochter Malou die Erste, die den erfolgreichen Segler in die Arme schließen konnte. Und auch Familienhund Lilli war mit von der Partie, als das gesamte Team Malizia seinen Skipper willkommen hieß. „Ein Vendée Globe zu schaffen, ist nicht nur die Leistung des einzelnen Seglers, sondern die des gesamten Teams, das hinter ihm steht“, verdeutlicht DSV-Offshore-Trainer Tim Kröger, der die Einfahrt in den Hafen für den NDR live kommentierte.
Die finale Platzierung für Boris Herrmann war erst klar, nachdem auch Jean Le Cam das Ziel erreicht hatte. Der Vendée Globe Veteran bekam nach der Suche und erfolgreichen Rettung des havarierten Kevin Escoffier von der Rennleitung eine Zeitgutschrift von 16 Stunden und setzte sich damit vor Boris Herrmann auf den vierten Platz.
„Ich bin glücklich mit dem Ergebnis, vor allem, wenn man berücksichtigt, was alles noch passiert ist“ – Boris Herrmann nach dem Zieleinlauf.
Am 8. November waren vor Les Sables d’Olonne 33 Soloskipper zu der Regatta gestartet, die von Tim Kröger als „Mount Everest der Hochseesegler – aber ohne Sauerstoffgerät“ bezeichnet wird. Die Ausfallquote, vor allem durch Schäden an den Booten, liegt üblicherweise bei rund einem Drittel. Von den Startern des aktuellen Rennens mussten bisher acht aufgeben.
„Sicher muss Boris Herrmann nun erst einmal die unschönen Erlebnisse der letzten Nacht verdauen und kann sich dann erst über seinen Erfolg freuen“, sagte Tim Kröger. „Im Nachklang werden wir feststellen, dass er für den deutschen Segelsport weit mehr geleistet hat, als man derzeit ermessen kann.“
„Boris Herrmann ist ein motivierendes Vorbild für alle jungen Seglerinnen und Segler“ – DSV-Präsidentin Mona Küppers
DSV-Präsidentin Mona Küppers verfolgte seit Wochen die Berichterstattung von Bord der „Seaexplorer Yacht Club de Monaco“ und fieberte in den letzten Stunden des hochspannenden Rennens mit. Sie sieht in der Leistung Boris Herrmanns, der als erster deutscher Segler bei der Vendée Globe an den Start ging, eine „Leuchtturmfunktion“ für den gesamten deutschen Segelsport. „Auch Boris Herrmann hat mal im Opti angefangen, im Zwischenahner Segelklub“, sagt Mona Küppers. „Seine Erfolgsgeschichte begann mit einer soliden Ausbildung im Verein – ein motivierendes Vorbild für alle jungen Seglerinnen und Segler.“
Direkt an Boris Herrmann gerichtet sagte Mona Küppers:
„Boris, du hast deinen Traum von der Vendée Globe wahrgemacht. Und du hast etwas erreicht, das deutschen Seglerinnen und Seglern, und auch uns als Verband, schon sehr lange nicht mehr geglückt ist: die Menschen unterhalten sich über das Segeln – auch diejenigen sind infiziert, die ansonsten Segeln nicht kennen. Mit deinen Videobotschaften und Fotos hast du Medien und Privatleute gleichermaßen an Bord geholt. Du hast es geschafft, „deine“ Vendée Globe greifbar zu machen: die Anstrengung und die Einsamkeit auf der einen Seite. Die Faszination, die Freiheit und das Vergnügen auf der anderen Seite.
In deinen Videos von Bord hast du gezeigt, dass Segeln eben nicht heißt, Goldknöpfe zu tragen und Schnittchen zu essen. Sondern dass Segeln bedeutet, Demut vor den Elementen zu haben. Dass Segeln nicht nur ein Sport, sondern eine besondere Art zu reisen ist! Und dass auch wir Seglerinnen und Segler Verantwortung für Meer und Umwelt übernehmen.
Ich gratuliere dir im Namen des gesamten DSV-Teams von Herzen zu deiner wirklich außergewöhnlichen Leistung!“
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28. Januar 2021
Rund 90 Meilen vor dem Ziel der Vendée Globe kollidierte der deutsche Solosegler Boris Herrmann Mittwochabend mit einem Fischerboot. Seine Yacht ist auf der Steuerbordseite, am Bug und im Rigg stark beschädigt, doch Boris Herrmann zeigte sich in einem nächtlichen Video von Bord zuversichtlich, das Rennen dennoch beenden zu können. Allerdings mit deutlich reduzierter Geschwindigkeit, so dass ein Platz auf dem Podium nicht mehr möglich ist.
Dramatischer kann der Zieleinlauf der härtesten Soloregatta der Welt nicht sein. Gestern Abend (der NDR hatte extra einen Livestream eingerichtet), sahen bis zu 650.000 Segelfans, wie Charlie Dalin auf „Apivia“ als erster Skipper nach 80 Tagen, 6 Stunden, 15 Minuten und 47 Sekunden die Ziellinie überquerte. Und begannen zu rechnen. Wie schnell muss Boris Herrmann ins Ziel kommen, um mit seiner Zeitgutschrift von sechs Stunden nach der Rettungsaktion für Kevin Escoffier doch noch das Rennen zu gewinnen? Wie sehr kann ihm Yannick Bestaven, der mit seiner „Maître Coq IV“ einen nördlicheren Kurs wählte, noch gefährlich werden?
Die Rechenexempel der vielen Fans am Bildschirm und Tracker wurden jäh durch die Meldung unterbrochen, dass Boris Herrmann rund 90 Meilen vor dem Ziel mit einem Fischkutter kollidiert ist. Sein Steuerbordfoil ist stark beschädigt, ebenso der Bugspriet und das Rigg. Mit wahrhaft gestutztem Flügel „humpelt“ er nun dem Ziel entgegen, während Konkurrent Yannick Bestaven bereits heute Nacht um 4.19 Uhr die Ziellinie überquerte und aufgrund seiner Zeitgutschrift von 10,25 Stunden nun als Sieger der 9. Vendée Globe feststeht.
Heute Nacht schickte Boris, der bei dem Unfall nicht verletzt wurde, noch ein Video von Bord, in dem er versuchte zu erklären, wie es zu der Kollision mit dem Trawler kam. „Ich schlief gerade im Cockpit. Als ich aufwachte, sah ich eine riesige Wand. Meine Segel waren an seiner Seite, mein Gennaker in seinen Kränen und Aufbauten verfangen“, erzählt er. „Nachdem mein Outrigger ein paarmal an den Trawler geknallt war konnte ich an ihm vorbeikommen und weiterfahren, aber es war ein echter Schockmoment.“
Warum ihn keines seiner an Bord installierten Alarmsysteme vor dem Zusammenstoß warnte, kann Boris sich nicht erklären. Nachdem er sein Shoreteam von dem Unfall informiert hatte, inspizierte er die Schäden und konnte erleichtert feststellen, dass das Schiff kein Loch hat.
Boris Herrmann wird nun heute gegen Mittag die Ziellinie vor Les Sables d’Olonne passieren und vermutlich im Gesamtranking den 5. Platz belegen.
Das ganze DSV-Team und viele Fans von Boris Herrmann haben heute Nacht mit ihm gelitten und wünschen ihm nun eine sichere Ankunft. Mit seiner großartigen Segelleistung und packenden Berichten von Bord in den letzten 80 Tagen hat er viele Zuschauer mit auf seine Hatz um die Welt genommen, hat Segelsport in Deutschland deutlich populärer gemacht und ist nicht nur in seinem Heimatland zum „Segler der Herzen“ geworden.
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22. Januar 2021
Die Vendée Globe entwickelt sich in der letzten Woche vor dem Zieleinlauf zum Hochseekrimi. Sechs Yachten liegen eng beieinander und werden vermutlich innerhalb eines Tages das Ziel vor Les Sables d’Olonne erreichen. Im Spitzenfeld dabei ist nach wie vor Boris Herrmann auf seinem Imoca „Sea Explorer Yacht Club de Monaco“. Der bisher einzige deutsche Teilnehmer an der härtesten Weltregatta für Solosegler lag zwischenzeitlich sogar auf einem sensationellen zweiten Platz im Gesamtklassement, aktuell wird er im Ranking auf Platz 3 geführt. In der Zoom-Konferenz live von Bord wirkte er relaxed und voller Vorfreude auf die letzten Tage des Rennens.
Der Blick auf das aktuelle Ranking der Vendée Globe sieht richtig gut aus für Boris Herrmann. Aktuell ist ihm ein Platz auf dem Podium sicher, sein Boot hat im Vergleich zu denen seiner direkten Konkurrenten Charlie Dalin auf „Apivia“ und Louis Burton auf „Bureau Vallée 2“ noch am wenigsten unter den Strapazen der vergangenen über 26.000 Seemeilen gelitten und verfügt noch über zwei intakte Foils. Entsprechend zufrieden wirkt auch Boris Herrmann, wobei er die zu großen Erwartungen der rund 30 deutschen Journalisten, die via Zoom-Konferenz zugeschaltet sind, ein wenig dämpft. „Im Augenblick sieht das ganz gut aus, aber das Podium ist noch nicht sicher“, sagt er. „Bis Platz sechs ist noch alles möglich. Ich versuche keinen Höhenflug zu bekommen, ruhig zu bleiben und mich nicht zu sehr auf die Platzierung zu fixieren.“
Der Blick auf den Tracker zeigt, wie eng das Rennen nach 75 Tagen nonstop auf See auf den letzten Meilen noch werden kann. Sechs Boote haben derzeit die Chance, als erste über die Ziellinie zu gehen. Aktuell liegt Charlie Dalin in Führung, gefolgt von Louis Burton, dahinter Boris Herrmann. Ihm auf den Fersen sind Thomas Ruyant auf „Linked Out“, Damien Seguin mit „Groupe Apicil“ und „Maitre Coq IV“ Skipper Yannick Bestaven. Rund 35 Meilen trennen Boris Herrmann derzeit von dem Spitzenreiter, alle sechs Boote liegen nur 130 Meilen auseinander.
„Wir müssen vorsichtig sein mit zu hohen Erwartungen“, sagt Boris Hermann noch einmal eindringlich. Und fügt an, dass die Bedingungen auf See derzeit ideal für sein Schiff sind. „Nach dem Äquator hatten wir sehr instabile Windbedingungen, da habe ich wirklich kämpfen müssen, aber nun segeln wir bei konstantem Wind zwischen 13 und 17 Knoten und kleiner Welle – absolute Traumbedingungen.“
Nachdem Boris Herrmann große Teile des Rennens sehr konservativ segelte und es so auch schaffte, sein Schiff heil zu lassen, kann er nun Vollgas geben und das volle Potenzial der 18 Meter langen Rennyacht ausschöpfen. Vergessen sind die deprimierenden Tage nach der Rundung des Kap Hoorn, als er nach einer längeren Reparatur am Großsegel auf den elften Platz abgerutscht war. „Die Angst, dass der Mast vom Deck fliegt, habe ich nun nicht mehr“, gibt er zu. „Ich muss nun einen klaren Kopf behalten, Ruhe bewahren und den Druck der Regatta nicht zu sehr an mich heranlassen.“
Mit Blick auf seine ärgsten Rivalen Charlie Dalin und Louis Burton, die mit einem teuren, maximal ausgereizten Neubau bzw. dem Siegerschiff der letzten Vendée Globe unter einem großen Erfolgsdruck stehen, fügt er an, dass er sich in einer sehr komfortablen Position befindet. „Ich bin der Jäger, die sind die Gejagten“, analysiert er nüchtern.
Ein Jäger, der im besten Fall gegenüber seinen Konkurrenten noch mit einer Zeitgutschrift von sechs Stunden punkten kann, die ihm von der Rennleitung nach der Rettungsaktion für den havarierten Konkurrenten Kevin Escoffier gutgeschrieben werden. Yannick Bestaven, derzeit an sechster Stelle liegend, hat sogar eine Zeitgutschrift von 10,25 Stunden und Jean le Cam werden nach Zieldurchgang 16 Stunden gutgeschrieben. Wird der Zieleinlauf so eng wie derzeit zu erwarten, könnten diese Gutschriften über die finale Platzierung entscheiden. „Am Ende ist es ein Rechenexempel, wen die Zeitgutschrift einen Platz nach oben oder nach unten schiebt“, erklärt Boris Herrmann. „Einen Platz gut zu machen ist natürlich immer schön. Es ist abersehr viel bitterer, rechnerisch einen Platz zu verlieren, als direkt auf dem Wasser.“
Fest steht: Die nächsten fünf bis sechs Tage, in denen die Segler noch rund 2.000 Meilen in ihrem Kielwasser lassen müssen, werden mehr als spannend. Wenn die Segler eine Halse fahren, ist Boris Herrmanns Vorteil der intakten Foils dahin. Auf Steuerbordbug können Thomas Ruyant und Charlie Dalin wieder an ihre rasanten Geschwindigkeiten aus dem Südmeer anknüpfen. „Der kommende Downwindkurs ist nicht unbedingt meine Stärke“, versucht Boris Herrmann abschließend die hochgesteckten Träume seiner Fans ein wenig zu dämpfen. „Das Rennen geht wirklich noch einmal neu los.“
Das gesamte DSV-Team, alle Segler und Fans schauen gebannt nahezu rund um die Uhr auf den Tracker und können es kaum erwarten, Boris im Ziel endlich zu seinem grandiosen Rennen gratulieren zu können.
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14. Januar 2021
Die (heimliche) Hoffnung aufs Podium
In den vergangenen Tagen hat Boris Herrmann bei der Vendée Globe eine beeindruckende Aufholjagd gestartet. Nur noch 80 Meilen trennen ihn am Donnerstag-Nachmittag (14.1.) von dem Führenden Charlie Dalin, rund 60 Meilen fehlen zu einem Podiumsplatz. Und stündlich schafft es der aktuell an fünfter Position des Weltrennens liegende Skipper, den Abstand weiter zu verkürzen. Bei der wöchentlichen Zoom-Pressekonferenz mit deutschen Journalisten zeigte sich Boris Herrmann sichtlich zufrieden, verriet aber auch, dass die Anspannung noch immer immens ist.
Was ist denn mit Boris Herrmann passiert? Man sieht ihm an, dass er sich in wärmeren Regionen befindet, anstelle des dicken rot-weißen Wollpullovers, der bei seinen Fans fast schon Kultstatus hat, trägt der nun ein schwarzes T-Shirt. Sonne scheint ihm zuweilen in sein frisch rasiertes Gesicht. Es sieht so aus, als würde er den „Flug“ über den Atlantik und die erfolgreiche Aufholjagd mit seinem foilenden Imoca „Seaexplorer Yacht Club de Monaco“ genießen.
Doch ganz so entspannt, wie es scheint, ist die Lage an Bord doch nicht. Auch wenn es mit der Yacht derzeit keine technischen Probleme gibt und Boris sich glücklich schätzen kann, nach einer so langen Distanz von über 23.000 Seemeilen noch alle Segel nutzen zu können, ist er rund um die Uhr maximal angespannt. Grund dafür sind die aktuell inkonstanten Windbedingungen, zwischen 15 und 25 Knoten ist innerhalb weniger Minuten alles möglich. Da heißt es für den Skipper wachsam sein, immer ein Ohr auf die Instrumente haben und darauf achten, dass das Schiff nicht überpowert wird. Die Bedingungen auf See sind nach Aussage von Boris Herrmann härter und anstrengender als gedacht, dass Schiff gleitet nicht ruhig und gleichmäßig dahin, sondern es gehen harte Schläge durch den Rumpf.
„Der Unterschied zu einer normalen Yacht mit Schwertern ist, dass eine foilende Yacht keinen Sonnenschuss macht, wenn der Druck zu stark wird“, erklärte Boris Herrmann. „Auf seinen Foils wird das Schiff einfach immer schneller bis etwas kaputt geht.“
Doch der 39-Jährige kann mit einem leichten Grinsen nicht verhehlen, wie sehr er sich freut, dass ein Platz auf dem Podium – wenn nicht gar der Gesamtsieg – derzeit in greifbarer Nähe ist: „Chancen auf den Sieg bestehen definitiv“, sagt er fast übermütig. Und fügt später relativierend dazu: „Es ist nicht der Skipper, der für die Geschwindigkeit des Boots verantwortlich ist, bis zu 99 Prozent sind es die Leistung des Bootes, des Autopiloten und der Computersysteme.“
Der Blick auf das aktuelle Ranking zeigt, dass sich in den letzten Tagen viel getan hat. Innerhalb einer Woche hat sich Boris Herrmann von Platz 11 wieder ins Spitzenfeld vorgearbeitet. Dagegen musste die Deutsch-Französin Isabell Joschke, nach dem frühzeitigen Ausscheiden vom Samantha Davies beste Skipperin im Rennen, nach Problemen mit der hydraulischen Kielaufhängung aufgeben. Am bittersten ist die Neusortierung des Feldes mit Eintritt in den Atlantik für Yannick Bestaven. Nachdem er lange Zeit das Rennen angeführe, ist er nun auf den sechsten Platz abgerutscht, knapp acht Meilen trennen ihn derzeit von Boris Herrmann. „Dieses Phänomen, dass die Rückfahrten auf dem Atlantik das Renngeschehen noch einmal auf den Kopf stellen und die Strecke für viele zur Überholspur wird, hatten wir schon in den letzten Rennen“, sagte Boris Herrmann. Und fügte hinzu, dass es auch zu erwarten war, dass Charlie Dalin mit seinem neuen, mit großen Foils ausgestatteten Schiff „Apivia“ nun deutlich schneller ist als Yannick Bestaven auf seinem vergleichsweise alten Schiff „Maitre Coq IV“.
Noch rund 4.150 Meilen trennen Boris Herrmann vom Ziel in Les Sables d’Olonne. Läuft alles gut, wird er am 27. Januar über die Ziellinie gehen. Bis dahin muss er noch ein weiteres Mal den Äquator passieren, die Flaute der innertropischen Konvergenzzone überstehen und sich durch das derzeit heftige Tief auf dem Nordatlantik über die Biskaya quälen. „Vor allem in den flauen Doldrums könnte es sein, dass ich noch einmal punkten kann, während die vor mir liegenden schon in der Flaute sind“, schilderte Boris Herrmann. Die leise Hoffnung, dass es für ihn zu einem Platz auf dem Podium oder gar dem Sieg in diesem Weltrennen reicht, schwang immer in seinen Worten mit. Und doch betonte er, dass er gerade in dieser Phase des Rennens nicht zu leichtsinnig werden und keine unnötigen Risiken eingehen werde. Anzukommen und als erster deutscher Segler dieses oft als „Mount Everest der Solosegler“ bezeichnete Rennen gemeistert zu haben ist noch immer sein oberstes Ziel.
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6. Januar 2021
Mit Schäden um Kap Hoorn zum Schlussspurt über den Atlantik
Es scheint fast geschafft. Boris Herrmann hat das gefürchtete Kap Hoorn gerundet. Unter gruseligen Bedingungen, bei Sturm und Nebel, nach einem Schaden am Großsegel nur unter der kleinen Fock J3 segelnd. Nun gilt es „nur noch“ allein an Bord die restlichen rund 7.000 Seemeilen über den Atlantik bis zum Ziel der Vendée Globe vor Les Sables d‘ Olonne zu bewältigen. Und dabei möglichst viele verlorene Meilen wieder aufzuholen. In einer Video-Pressekonferenz live von Bord schilderte er am Dienstag (5.1.), wie ihn der Schaden am Großsegel fast zum Aufgeben gezwungen hätte.
Übermüdet, erschöpft, aber zufrieden stellte sich Boris Herrmann am Dienstag den Fragen der Journalistinnen und Journalisten. Das Bild von Bord ruckelte und blieb oft ganz stehen, im Hintergrund sah man eine neblige, scheinbar undurchdringliche Wolkenwand, im Cockpit leuchteten noch die paar Reste von bunten Girlanden auf, mit denen der deutsche Hochseesegler ganz allein den Jahreswechsel zelebrierte. Doch das neue Jahr 2021 meint es mit Boris Herrmann nicht gut. Erst hatte er Probleme mit dem Generator, dann Riss im Sturm das Achterliek seines Großsegels.
„In den letzten 24 Stunden habe ich nur wenige Stunden Schlaf bekommen, vielleicht so zwei oder drei, aber seit zehn Minuten weiß ich, dass an Bord alles wieder in Ordnung ist, das ist ein ungeheures Glücksgefühl“, sagte er. Fast einen Tag dauerte die Reparatur, so lange konnte Boris Hermann nur unter Fock segeln. „Im Sturm, bei rund 45 Knoten, in den immer wieder brechenden Wellen mit viel Wasser an Deck, habe ich Sikaflex auf das Tuch aufgetragen und es dann zwölf Stunden aushärten lassen“, berichtete er. „Das Sikaflex nimmt nun die strukturelle Last auf einer großen Fläche auf und ich kann weitersegeln.“
Die Erleichterung über die erfolgreiche Reparatur war ihm deutlich anzumerken. Vor dem Passieren des Kap Hoorn war ihm beim Einbinden des dritten Reffs – eigentlich inzwischen eine Routinearbeit an Bord – ein Malheur unterlaufen. Das Achterliek klemmte hinter dem Want und riss zwischen dem zweiten und dritten Riff. Wäre das Tuch des Großsegels bis zum Mast weitergerissen, hätte dies das „Aus“ für den deutschen Segler bei der Weltregatta bedeutet. „Ich bin dankbar für jeden Tag, den es weitergeht“, sagte Boris Herrmann nachdenklich. „Nach Problemen mit dem Generator kam nun der Riss im Segel hinzu. Mein Ziel ist es aber, dass Rennen zu beenden und nicht von Ushuaia mit dem Flugzeug nach Hause zu kommen.“
Die Schäden an Bord haben ihn rund 40 Meilen zu den Führenden und viele Plätze gekostet, derzeit ist er auf den elften Platz abgerutscht. Unter diesem negativen Eindruck fiel auch die geplante kleine Zeremonie an Bord für die geglückte Umrundung des letzten Kaps der Reise aus. Die Südspitze des Kontinents präsentierte sich im Nebel, als Boris Herrmann – nur unter Vorsegel – zum fünften Mal in seinem Leben die berühmte Landmarke passierte. Unsicher, ob die Reparatur des Segels gelingen würde, war ihm nicht nach Feiern zu Mute, die kleine Portion Whiskey an Bord spart er sich nun für den Atlantik auf, wenn es gelungen ist, wieder einige Konkurrenten zu überholen oder den Äquator zu passieren.
Noch liegen fast 7.000 Seemeilen zwischen ihm und dem Ziel vor der französischen Hafenstadt Les Sables d‘Olonne, wo er Ende Januar erwartet wird. Boris Herrmann hofft, nun, wo er das stürmische Südmeer verlassen hat und zum „Homerun“ über den Atlantik startet, endlich das wahre Speedpotenzial seiner Yacht, die im letzten Winter mit neuen, großen Foils ausgestattet wurde, ausschöpfen zu können.
Denn das ist eine der großen Überraschungen des Rennens: Die neuen Yachten mit beeindruckend großen Foils sind den älteren Schiffen, die teilweise ohne oder nur mit kleinen Foils ausgestattet sind, gar nicht überlegen. Yannick Bestaven, der derzeit das Gesamtklassement anführt und ein Schiff mit kleinen Foils segelt, war zu Beginn des Rennens noch direkter Konkurrent von Boris Herrmann. „Keiner von uns hat damit gerechnet, dass Yannick bei dem Rennen so gut dabei sein wird. Aber er konnte sein Boot im Southern Ocean richtig pushen“, sagt Boris Herrmann mit leichter Enttäuschung über seine eigene Platzierung. „Aber auch Damien Seguin, der derzeit auf Platz drei liegt, segelt ein älteres Boot ohne Foils. Normalerweise, bei Regatten vor der französischen Küste, sehen wir ihn noch zwei Stunden nach dem Start und dann nie wieder. Es ist erstaunlich, was er bei diesem Rennen für eine beeindruckende Leistung zeigt.“
Doch mit dem Optimismus und Kampfgeist, mit dem er bisher jede Widrigkeit während der Weltregatta gemeistert hat, will Boris Herrmann auf dem Atlantik angekommen noch einmal angreifen. Jetzt will er allen zeigen, welches Speedpotenzial tatsächlich in seinem Schiff steckt, wenn es sich nicht durch sechs Meter hohe Wellenberge kämpfen muss, sondern sich bei Windbedingungen von 15 bis 25 Knoten und zwei Metern Wellenhöhe ideale „Flugbedingungen“ einstellen.
„Die Vendée Globe ist nicht nur ein Rennen – es ist auch ein Abenteuer“, betonte Boris Herrmann. „Das merkt man an solchen Herausforderungen wie gestern und heute. Ins Ziel zu kommen ist nicht selbstverständlich. Bei einem Rennen, wo alle sicher ankommen, da gibt es nur den sportlichen Aspekt. Aber hier ist das Ankommen schon so eine große Leistung!“
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18. Dezember 2020
Bergfest für Boris Herrmann
Rund die Hälfte der 24.000 Seemeilen der Weltregatta Vendée Globe sind für den ersten deutschen Teilnehmer Boris Herrmann geschafft. Doch von einem „Home run“ spricht er noch nicht. Erst wenn Kap Hoorn passiert ist, will er Gas geben und so schnell wie möglich über den Atlantik zum Ziel vor Les Sables d’Olonne segeln.
Gut gelaunt und erstaunlich ausgeruht meldet sich Boris Herrmann im wöchentlichen Videocall von Bord. Er hatte eine gute Nacht mit erholsamem Schlaf und hat sich am Morgen einen Kaffee gemacht – ein sicheres Indiz dafür, dass er sich ausgeschlafen fühlt und sich den Koffein-Kick gönnen kann, weil er nicht auf die nächste Gelegenheit lauert, sich noch einmal in die Koje legen zu können. Doch die Internetverbindung zu der Rennyacht im Indischen Ozean ist schlecht, nur schemenhaft und stark verpixelt ist der Profisegler in seinem weihnachtsroten Wollpullover zu erkennen. Es wird auf einen simplen Whatsapp-Anruf gewechselt.
WhatsApp – das ist der Kommunikationskanal, mit dem Boris seine Einsamkeit während der inzwischen rund sechs Wochen alleine auf See am besten bekämpfen kann. Er hat eine Gruppe für alle Vendée-Globe-Teilnehmer gegründet und chattet von See aus mit den Skippern der anderen Boote. Neben ein paar persönlichen Kommentaren ist hier auch Raum für Glückwünsche, wenn ein Geburtstag ansteht. Zudem hält er engen Kontakt zu seinem Team, Managerin Holly Cova und Will Harris und natürlich seiner Frau Birte, die sich mit der gemeinsamen kleinen Tochter zu den Großeltern nach Kiel verzogen hat. Über einen engen Segelfreund erreichen ihn zudem täglich Grußbotschaften und Durchhalteparolen von Freunden, Bekannten und Prominenten. Sogar Komiker Otto Waalkes grüßte mit einem Ottifanten-Scherz bereits auf die Weltmeere. „Das Alleinsein ist eine große Herausforderung für mich, es ist nicht leicht, damit umzugehen. Aber aus den Nachrichten schöpfe ich Kraft und Energie“, gibt er zu.
Für Boris Herrmann, der kein Einzelgänger ist und sich nach Gemeinschaft sehnt, war es eine große Freude, tagelang in einer Gruppe von fünf Booten, zum Teil in direkter Sichtweite, zusammen zu segeln. „So dicht bei den anderen zu sein ist auch eine gute Rückversicherung, dass die eigene Leistung nicht so schlecht sein kann“, sagt Boris Herrmann. „Vor allem mit Damien Seguin habe ich über Whatsapp gequatscht, dann habe ich meine Drohne steigen lassen, um ein paar Bilder von den Booten machen zu können.“
In direkter Nähe zu Jean Le Cam, Louis Burton, Damien Seguin und Benjamin Dutreux zu segeln ist eine hervorragende Position für den Skipper und doch wurmt es ihn, dass ihm ausgerechnet Yannick Bestaven auf „Maitre Coq“, der weiten Strecken des Rennens sein direkter Konkurrent und zuweilen auch in Sichtweite war, inzwischen rund 500 Meilen abgenommen hat. „Das ist schon krass, da ist einer ein kleines bisschen schneller, dann kommt er in ein anderes Windsystem und dann multiplizieren sich auf einmal 40 Meilen zu so einem großen Vorsprung“, analysiert Boris Herrmann. Er selbst segelt weiterhin defensiv, will sein Boot nicht unnötig belasten und erst auf dem Schlussspurt über den Atlantik „richtig Gas“ geben. „Ich freue mich auf die Passatwinde auf dem Atlantik, dann kann ich das Potenzial meiner Foils nutzen und hoffentlich viele Meilen aufholen.“
Das „Bergfest“, die Hälfte der Gesamtdistanz, hinter sich zu haben, ist für ihn ein gutes Gefühl, aber er betont, dass der schwierigste Teil der Reise noch lange nicht überstanden ist. „Wenn man es mit einem Bergsteiger vergleicht, befinden wir uns noch immer konstant auf 8.000 Metern Höhe“, sagt er. „Der Pazifik wird noch eine ganz besondere Prüfung, dann segeln wir noch weiter südlich als im Indischen Ozean. Erst, wenn das Kap Hoorn erfolgreich gerundet ist, fällt ein Großteil der Anspannung ab und ich mache mich auf den ‚way home‘.“
Das ruhigere Wetter der letzten Tage konnte er nutzen, um die dringend notwendigen Reparaturen an den Hydrogeneratoren und der großen Genau vorzunehmen. Doch er schätzt die Gefahr, dass er die Generatoren verliert oder sie durch Welle und Sturm mit viel Wucht aufs Schiff knallen derzeit so hoch ein, dass er sie erst einmal nicht einsetzen möchte.
Im Ranking befindet er sich aktuell auf einem hervorragenden 5. Platz, darin eingerechnet ist bereits die Vergütung, die ihm von der Rennleitung als Zeitgutschrift für den Rettungseinsatz auf der Suche nach dem havarierten Kevin Escoffier gutgeschrieben wurde. „Ich habe die Verhandlungen mit der Rennleitung komplett in Hollys und Wills Hände gelegt und ihnen gesagt, sie sollen sich kümmern und ich werde mit jedem Ergebnis zufrieden sein“, sagt Boris Herrmann. „Auch ohne Zeitgutschrift ist es selbstverständlich einem Konkurrenten zu helfen, ich wollte auch nicht zu sehr an diesen belastenden, schwärzesten Moment des Rennens erinnert werden.“
Dem kommenden Weihnachtsfest blickt er mit Freunde und Gelassenheit entgegen. „Ich habe ein paar kleine Päckchen und werde mich freuen, wenn ich weiß, dass es der Familie zu Hause gut geht und sie in schöner Stimmung zusammen sind“, sagt er. An Bord wird eine Lichterkette für ein wenig weihnachtlichen Glanz sorgen. Zum Kap Hoorn, dem letzten Kap der Reise, sind es derzeit noch rund 4.500 Seemeilen, in ungefähr 12 bis 14 Tagen wird Boris Herrmann mit seiner Yacht „Seaexplorer Yacht Club de Monaco“ hoffentlich die berüchtige Südspitze Südamerikas umrunden.
Das gesamte DSV Team wünscht Boris weiterhin viel Erfolg und drückt ihm die Daumen, dass es gelingt, bis ins Ziel einen Platz unter den „Top Five“ zu halten.
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4. Dezember 2020
Dramatische Woche im Southern Ocean
Die letzte Woche hatte es an schlechten Nachrichten vom Vendée Globe Race in sich. Kevin Escoffier, Skipper der Imoca „PRB”, musste sein Schiff aufgeben und wurde von Jean Le Cam gerettet. Und die direkten Konkurrenten von Boris Herrmann, Sébastien Simon und Sam Davies, drehten nach Schäden an ihren Rennyachten ab. Trotz schwerer See im Indischen Ozean nahm sich Boris Herrmann an Bord der „Sea Explorer Yacht Club de Monaco“ wieder Zeit für eine Videokonferenz mit den deutschen Journalisten. Und sagte sehr ehrlich: „Das ist eine harte Zeit, ich bin froh, wenn ich wieder zu Hause bin“.
Leicht verpixelt erscheint Boris Herrmann im Rahmen der Zoom-Pressekonferenz live von Bord seiner Yacht auf dem Bildschirm. Der Hintergrund bewegt sich, immer wieder ist ein Schwall Wasser zu sehen, der sich über das Cockpit ergießt. Die aktuellen Witterungsbedingungen im Indischen Ozean sind nicht schön, das große Meer präsentiert sich mit einer zornigen, kurzen Welle so zerhackt, wie es selbst Boris Herrmann noch nicht erlebt hat. Dreimal schoss seine Yacht in den letzten Stunden unkontrolliert in die Sonne, auch wenn er derzeit versucht, so defensiv wie möglich zu segeln und frühzeitig den Druck aus den Segeln rauszunehmen.
„Es kann nur besser werden, in vier Tagen werde ich hoffentlich eine Leichtwindzone erreicht haben“, sagt er mit Blick auf die aktuellen Bedingungen. „Sobald es wieder ruhiger wird, muss ich mich den Reparaturarbeiten an Bord widmen, heute Nacht sind beide Hydrogeneratoren abgegangen, dazu ist der Reißverschluss meiner großen Genua kaputt.“
Die Hydrogeneratoren, von denen zwei im Heck der Rennyacht montiert sind, liefern bei Geschwindigkeiten bis zu 26 Knoten Strom. Energie, die Boris Herrmann kontinuierlich braucht, um vor allem die vielen elektronischen Geräte und Anzeigen, Autopilot, Watermaker und Kommunikationstechnik dauerhaft betreiben zu können. „Gestern Abend ist der eine Hydrogenerator abgerissen, Stunden später hat sich bei dem anderen eine Schraube gelöst und er ist runtergerutscht“, berichtet der Skipper von Bord. „Ich habe beide bergen können und werde mich mit meinem Team bei besseren Witterungsbedingungen beraten, wie ich sie neu arretieren kann. Dann werde ich aber auch mit der Flex im Heck arbeiten müssen, das geht nur bei ruhiger See. Bis dahin liefern mir die Solarpanels tagsüber Strom, nachts nutze ich den Dieselmotor zur Stromerzeugung.“
Doch die Probleme mit den beiden Hydrogeneratoren sind nicht die einzige Baustelle, mit der Boris Herrmann derzeit kämpfen muss. Der Reißverschluss seiner großen Genua, mit der das Segel am Vorstag befestigt wird, ist im unteren Bereich aufgerissen, so dass er das Segel derzeit nicht setzen kann und nur mit der Genua 3 unterwegs ist. Das bedeutet einen immensen Speedverlust. „Die Genua 2 wird im ungenutzten Zustand um ihr Vorstag gewickelt und bei Bedarf ausgerollt“, erklärt Boris Herrmann. „Ich möchte derzeit nicht riskieren sie zu setzen, denn wenn der Riss weiter geht, muss ich für eine Reparatur wieder nach oben in den Mast. Nur, dass ich dann nicht am Mast hochklettern kann, sondern das Vorstag nehmen muss.“
So bleibt dem ersten deutschen Teilnehmer an der Weltregatta derzeit nichts anderes übrig, als gebremst, mit einem zu kleinen Segel, auf besseres Wetter zu hoffen. Die Enttäuschung darüber, dass er so gegenüber den Konkurrenten Meile um Meile verliert, ist ihm deutlich anzumerken. „Über Jahre haben wir darauf hingearbeitet, ein möglichst schnelles Boot zu haben, und nun fahren wir viel zu langsam“, fasst er die Situation zusammen. „Das geht nicht spurlos an mir vorbei.“
Doch er betont, dass er sich zum Ziel gesetzt hat, das Rennen über die gesamte Distanz zu meistern und die Yacht über die Ziellinie vor der französischen Hafenstadt Les Sables-d’Olonne steuern. „Ich habe große Sehnsucht anzukommen und will nichts auf Spiel setzen“, betont er nachdrücklich. „Körperlich geht es mir gut, meine Hände tun weh, es sind harte Bedingungen und ich bin froh, wenn ich wieder zu Hause bin.“
Die Vorsicht, mit der Boris Herrmann derzeit seine Yacht durch die krachenden Wellen bugsiert, soll dafür sorgen, dass das Schiff heil bleibt und ihm den Verbleib im Rennen ermöglicht. Wie schnell der Traum von der Weltumseglung allein unter Rennbedingungen vorbei sein kann, erlebte am Montag der französische Skipper Kevin Escoffier auf der Yacht „PRB“. Das Schiff wurde von einer Welle getroffen, der Bugbereich brach ab und der Skipper konnte sich nach einem eilig abgesetzten Notruf von seiner schnell sinkenden Yacht in seine Rettungsinsel retten. Nach Stunden gelang es Jean Le Cam, den Havaristen in der Dunkelheit der Nacht bei heftigem Seegang und Wind zu sich an Bord zu nehmen. Zu dem Zeitpunkt hatte die Rennleitung bereits Boris Herrmann und zwei weitere Skipper gebeten, ihren Kurs zu ändern und das Seegebiet abzusuchen. Dramatische Stunden, die den Teilnehmern des Rennens und den vielen Followern weltweit wieder verdeutlichten, wie fragil die vermeintliche Sicherheit der Rennteilnehmer auf See ist. „Inzwischen habe ich die Erlebnisse in dieser Nacht gut verarbeitet und hinter mir gelassen. Jetzt beschäftige ich mich wieder mit meiner eigenen Geschichte und überlege, wie ich gut durch den Tag komme“, sagt Boris Herrmann. „Doch bis gestern hat mich das stark beschäftigt und ich habe auch noch eine Träne verdrückt. Es stand alles auf Messers Schneide, ich glaube Kevin ist sich noch gar nicht bewusst, wie haarscharf die Situation noch gut ausgegangen ist.“
Während des Rennens bekommen die Skipper über die Rennleitung Informationen über die Lage der übrigen Teilnehmer, können aber auch das Internet nutzen und kommunizieren viel über WhatsApp mit Familie und Freunden zu Hause. So erreichen auch schlechte Nachrichten von der Flotte Boris Herrmann schnell. Und die Liste der Ausfälle wurde nach der dramatischen Havarie von Kevin Escoffier noch länger. Der als Mit-Favorit gehandelte Brite Alex Thomson musste nach einem Ruderbruch aufgeben und sowohl Sébastien Simon als auch Sam Davies, bisher mit Abstand beste Frau im Feld der ursprünglich 33 Starter, sind mit einem UFO (unknown floating object) kollidiert und mussten ihren Kurs Richtung Südafrika ändern. Davies hofft noch, ihr Boot im Schutz der südafrikanischen Küste reparieren und das Rennen fortsetzen zu können, Fachleute sehen diese Möglichkeit aber als unrealistisch ein. Simon hat bereits aufgegeben – nicht ohne gleich eine neue Kampagne für das nächste Vendèe Globe anzukündigen.
„Sam scheint vermutlich mit einem schlafenden Wal kollidiert zu sein“, erklärt Boris Herrmann. „Ich habe am Kiel einen ‚whale pinger‘, der die Tiere mit einem hohen Ton verschrecken soll.“ Zusätzlich, um eine Kollision mit Objekten über der Wasseroberfläche zu vermeiden, wurde an Bord der „Sea Explorer Yachtclub de Monaco“ das Kollisionswarnsystem OSCAR installiert. „Einmal hat OSCAR tatsächlich Alarm gegeben“, berichtet Boris Herrmann. „Die Gefahr war zum Glück gering, es war nur ein rund 80 Zentimeter großer Plastikfender, der im Wasser trieb.“
Das gesamte DSV Team wünscht Boris bald ruhigeres Wetter und viel Erfolg bei den nötigen Reparaturen. Ein Drittel des Rennens ist bereits geschafft!
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27. November 2020
Höhenangst, Einsamkeit und das Glücksgefühl, zu den Top 5 zu gehören
Fast drei Wochen ist Boris Herrmann, erster deutscher Teilnehmer bei der Solo-Weltregatta Vendée Globe, nun schon allein an Bord der Imoca „Seaexplorer Yacht Club de Monaco“ unterwegs. In einer Zoom-Konferenz stellte er sich den Fragen von Journalisten, live von Bord. Und gab ehrlich zu, dass er an Höhenangst leidet. Und doch musste er den 29 Meter hohen Mast erklimmen.
„Hallo und guten Morgen, schön, dass sich so viele die Zeit nehmen“ – mit diesen Worten begrüßte ein scheinbar relaxter Boris Herrmann die rund 15 Segeljournalisten an den Bildschirmen. Das Wetter mitten auf dem Atlantik auf dem 36. Breitengrad ist während der rund 20-minütigen Videokonferenz moderat, seine Yacht segelt gleichmäßig und aufrecht. Boris Herrmann sitzt fast gemütlich an seiner Navigations- und Kommunikationsstation und schafft es sogar, während des Gesprächs immer wieder einen Schluck Kaffee aus seinem Becher zu nehmen.
Oder muss er erst noch verarbeiten, was er gestern Abend leisten musste? Wegen der raumenden Winde wollte er vom Code 0 auf den Gennaker wechseln. Doch das große Vorsegel, dessen Fall über ein Fallenschloss oben am Mast arretiert wird, rastete nicht ein. Das Fall war falsch im Schloss eingeklemmt und entsprechend blockiert. „Es war kurz vor Sonnenuntergang und mir war klar, dass ich da jetzt hochklettern muss, um das Problem zu lösen“, berichtet Boris Herrmann. „Yannick Bestaven, der mit „Maitre Coq IV“ in unmittelbarer Nähe von mir war, habe ich schnell Bescheid gesagt, dass ich das Vorsegel wegnehme und in den Mast gehe.“
Scheinbar relaxed erzählt der deutsche Hochseeprofi, wie er sich gestern Abend im Licht der untergehenden Sonne sicherte und dann, ausgerüstet mit Werkzeug und seinem Handy, den Mast erklomm. „Mit Hilfe einer Talje und zwei Karabinern habe ich dann das verklemmte Fall entlasten können, so dass das Fallenschloss wieder funktionierte“, sagt er. „Ich war fast anderthalb Stunden allein im Mast, das Boot bewegt sich dabei, ich wurde brachial hin- und hergeworfen.“
Das technische Problem, dass zum Verklemmen des Falls im Schloss führte, hat er in luftiger Höhe sogar noch mit der Handykamera gefilmt, um es für sein Technikteam zu dokumentieren. „Wieder an Deck angekommen, habe ich erst einmal eine Stunde alles aufgeräumt und versucht, das Adrenalin abzubauen und zur Ruhe zu kommen“, gibt er ehrlich zu. „Ich habe totale Höhenangst, würde nie freiwillig Freeclimbing machen. Das ist schon fast Paranoia. Und auch deshalb habe ich mein Handy mit hochgenommen, damit ich im Notfall Bescheid sagen kann, dass ich oben baumel und nicht wieder runterkomme – damit ich nicht wie Odysseus im Mast hängend über die Ozeane segele.“
Eigentlich wollte sich Boris Herrmann, zurück an Deck, für die erfolgreiche Aktion mit einer Tafel Schokolade und einem Film in der Koje belohnen. Doch dazu kam es nicht: „Ich war körperlich erledigt, habe dann doch lieber geschlafen und hatte eine recht ruhige Nacht“, erzählt er. „Nur habe ich über die Aktion meinen vierten Platz aufgeben müssen, der Abstand zu „PRB“ und „Maitre Coq IV“ ist von rund sieben Meilen auf über 20 angewachsen.“
Ab 1. Dezember wird Boris Herrman, der im Juni dieses Jahres zum ersten Mal Vater wurde, sich täglich über ein kleines Stück Schokolade freuen können. Seine Frau Birte hat ihm einen Adventskalender mitgegeben, den ein großes Foto von ihr und der gemeinsamen kleinen Tochter ziert. „Das ist schön, wenn ich immer ein Bild von den beiden bei mir habe“, gibt Boris Herrmann zu. „Ich bin gar kein ‚lonely wolf‘, der es genießt, Tausende von Meilen nur mit sich und dem Boot allein zu sein. Ich brauche Kommunikation und freue mich immer, wenn mich Nachrichten von zu Hause und von meinem Team erreichen.“
Der Soloskipper, für den mit der Teilnahme an der Vendée Globe ein Lebenstraum wahr wird, gibt unumwunden zu, dass es für ihn eine große Überwindung bedeutet, so viele Monate nur auf sich gestellt zu sein. „Dieses Alleinsein ist Teil meiner ganz persönlichen Herausforderung und kostet mich zuweilen große Überwindung“, sagt er. „Aber wenn ich dann merke, wie gut, schnell und zuverlässig mein Boot läuft und das es mir viele Meilen gelungen ist, mich unter den Top 5 zu platzieren, dann ist da auch Ehrgeiz dabei, dieses Rennen richtig gut zu segeln.“
An der Spitze des Feldes, das nach dem Mastbruch von Nicolas Troussel auf „Corum L‘Èpargne“ nur noch 32 Boote groß ist, segelt Charlie Dalin auf „Apivia“. Der Franzose hat mittlerweile einen beachtlichen Vorsprung von rund 200 Meilen gegen Verfolger Thomas Ruyant auf „LinkedOut“ herausgesegelt. Der als Mit-Favorit gehandelte Brite Alex Thomson rangiert nach einer längeren Reparaturpause, bei der er einen strukturellen Schaden am Bug des Schiffes beheben musste, derzeit auf Rang 12. Die Führungsgruppe erreicht nun die „roaring forties“ und damit den härtesten Teil der Regatta. Es wird deutlich kälter, die Boote nähern sich der von der Wettfahrtleitung definierten virtuellen Eisgrenze. Rund 12.000 Meilen müssen die Skipper im Südpolarmeer hinter sich bringen, bevor das berüchtigte Kap Hoorn passieren und wieder nach Norden abbiegen können.
Übrigens: Nach dem Gespräch erklärte Teammanagerin Holly Cova, dass die Imoca, die von Boris Herrmann gesegelt wird, nach dem Rennen zum Verkauf stehe. Warum? „She carries him safely on a high level“, sagt sie und fügt mit Blick auf die massiven Veränderungen in der Entwicklung von High-tech Rennyachten hinzu: „But there is more to come in future for him. The next campaign is in 2024.”
Mit dieser guten Aussicht auf eine erneute Teilnahme von Boris Herrmann an der Vendée Globe drückt das gesamte DSV Team Boris weiterhin alle Daumen, behält den Tracker aufmerksam im Auge und freut sich auf das nächste Live-Update von Bord.
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7. November 2021
Ganz Segelsport Deutschland drückt Boris Herrmann die Daumen!
Morgen um 13.02 Uhr ist endlich Start zu dem Rennen, das alle Seglerinnen und Segler in den kommenden 70 Tagen bewegen wird. Wenn das Vendée Globe Race startet, wird wieder mehrmals täglich nervös auf den Tracker geschaut. Wer liegt vorne, wer fährt einen extremen Kurs, wer hat augenscheinlich ein Problem, so dass seine Logge deprimierende 0 Knoten anzeigt? Zudem werden Tausende beim virtuellen Rennen um die Erde mit den Profi-Skippern an Bord der Imoca-Rennyachten zumindest auf dem Bildschirm versuchen mitzuhalten. Die deutschen Seglerinnen und Segler werden vor allem den Kurs von Skipper Boris Herrmann auf „Seaxexplorer – Yacht Club de Monaco“ aufmerksam verfolgen. Der erste deutsche Teilnehmer bei dem härtesten Weltrennen für Solosegler hat Chancen, in der Spitzengruppe mitzufahren, aber die internationale Konkurrenz kann sich sehen lassen. Das Auslaufen und der Start werden morgen im Livestream gezeigt.
Um die Vendée Globe zu gewinnen, gilt es in erster Linie, nach rund 28.000 Seemeilen wieder die Ziellinie der französischen Hafenstadt Les Sables d’Olonne zu kreuzen. Das heißt, dass das Boot (und auch Skipper) auf dem rasend schnellen Trip um die Erde heil bleiben müssen. Bei einem Schaden am Boot dürfen die Skipper keine Hilfe von außen annehmen und müssen versuchen, sich mit Bordmitteln selbst zu helfen. Umfangreiche Reparatur-Kits gehören deshalb zur Grundausstattung der 27 Männer und 6 Frauen, die am Sonntag bei dem Weltrennen starten. Doch gemessen an den bisherigen Rennen, die alle vier Jahre stattfinden, ist die Ausfallquote hoch und liegt zwischen 30 und 50 Prozent. Neben einem Mastbruch wird als größtes Risiko auf See vor allem die Kollision mit einem UFO (unknown floating object) angeführt, die zu massiven Schäden an den filigranen Foils, Kiel, Rudern oder auch am Rumpf führen kann.
Eine letzte Hürde vor dem Start mussten die 33 Skipperinnen und Skipper, von denen 18 zum ersten Mal bei der Regatta dabei sind, gestern noch nehmen: Die Rennleitung hatte die Vorlage eines aktuellen, negativen Covid-19 Tests zur Bedingung gemacht. Die tagelange Selbstisolation vor Ort, die penible Desinfektion der Yacht und die nahezu hermetische Abriegelung hatte Erfolg: Boris Herrmanns Test ist negativ – seinem Start als erster deutscher Skipper an dem Rennen steht nichts mehr im Wege.
Herrmann startet mit einem extrem gut ausgestatteten, erprobten Boot in das Rennen und sagte schon 48 Stunden vor dem Start, er sei so gut vorbereitet, dass er bereits starten könne. „Wir haben gut geplant und alle Termine sicher einhalten können, so dass ich nun vor dem Start noch einmal entspannen kann“, sagte er vor dem Rennen. „Das Team hat einen perfekten Job gemacht, alle anstehenden Arbeiten am Boot waren gut eine Woche vor Deadline fertig.“
Derzeit führt der in Oldenburg geborene Soloskipper das internationale Ranking der Imoca-Skipper an, jedoch ist dieses Ranking nur begrenzt aussagekräftig, weil nicht alle Teilnehmer an der Vendée Globe im Vorfeld an denselben Regatten teilgenommen haben. Für den 39-jährigen Wahlhamburger ist es die erste Teilnahme an dem Weltrennen, das von ihm gesegelte Boot „Seaexplorer – Yacht Club de Monaco“ nahm bereits 2016/17 mit Skipper Sébastien Josse unter dem alten Namen „Gitana“ am Vendée Globe Race teil. An Platz drei liegend musste Josse nach einem Schaden am Foil im Indischen Ozean das Rennen aber aufgeben.
Thomson, Beyou und Dalin sind die Favoriten
Top-Favorit für das Rennen 2020/ 21 ist der britische Ausnahmesegler Alex Thomson auf der radikalen Rennyacht „Hugo Boss“. Mit 46 Jahren ist er einer der älteren Teilnehmer im Gesamtklassement und geht zum fünften Mal in Folge bei dem Weltrennen an den Start. Erklärtes Ziel von ihm und seinem Team: Endlich das Rennen als erster Nicht-Franzose zu gewinnen. Das Speedpotenzial seiner auffälligen schwarz-pinken Yacht ist hoch, von seinem innenliegenden Steuerstand aus startet Alex Thomson zum Angriff auf die Krone der Solosegler. Aber: Schon beim ersten Testlauf mit der neuen Yacht unter Rennbedingungen, dem Transat Jacques Vabre im letzten Jahr, musste Alex Thomson nach einem Schaden am Kiel und anschließendem Kielverlust das Rennen aufgeben. Seitdem trainierte er allein und vermied es, sich der internationalen Konkurrenz zu stellen.
Ebenfalls als heißer Titelaspirant gehandelt wird Jérémie Beyou auf „Charal“, der bei der letzten Auflage der Vendée Globe Dritter wurde. Der 44-jährige Franzose nahm bereits viermal an dem Rennen teil, sein 2018 für die „Route du Rhum“ neu gebautes Boot wurde in den vergangenen zwei Jahren beständig optimiert und hat bereits den dritten Satz neuer Foils erhalten.
Zum ersten Mal bei dem Rennen dabei, aber mit einem top-ausgestatteten Boot, ist der 36-jährige Charlie Dalin auf „Apivia“. Im letzten Jahr gewann er das Transat Jacques Vabre von Le Havre nach Salvador de Bahia gegen die internationale Imoca-Elite und segelte zuletzt immer auf Augenhöhe mit Jérémie Beyou. Allerdings ist es für ihn die erste Teilnahme an dem Rennen, das vor allem aufgrund der langen Passage durch das Südpolarmeer nicht mit anderen Rennen vergleichbar ist.
Sechs Frauen am Start
Als beste Frau im Starterfeld gilt die Britin Samantha „Sam“ Davies. Die in Frankreich lebende erfolgreiche Soloseglerin geht bereits zum dritten Mal bei der Vendée Globe an den Start, ihre Yacht und die der Deutschfranzösin Isabell Joschke, die unter französischer Flagge startet, sind im Gegensatz zu den Schiffen der übrigen vier Teilnehmerinnen mit Foils ausgestattet.
Eine Besonderheit stellt der japanische Skipper Kojiro Shiraishi da. Nachdem er das Rennen 2016 mit einem Mastbruch im Indischen Ozean abbrechen musste, tritt der mit 52 Jahren älteste Teilnehmer des Rennens wieder an. Sein Ziel ist es, als erster Asiate das Weltrennen erfolgreich zu beenden. Dabei hat sein Schiff, ein Schwesterschiff der „Charal“, durchaus Chancen unter den Top 10 mitzuhalten, wobei die verwendeten Foils im Gegensatz zu „Charal“ nicht weiterentwickelt wurden.
Geheimtipp und spannender Neubau
Als Geheimtipp mit Außenseiterchancen wird Thomas Ruyant auf „Linked Out“ eingeschätzt. Für den 39-jährigen, in verschiedenen Bootsklassen sehr erfahrenen Solosegler, ist es nach 2016 der zweite Versuch, das Rennen erfolgreich zu bestehen. Vor vier Jahren musste er nach einer Kollision mit Treibgut aufgeben. Ebenfalls mit Spannung erwartet wird das Abschneiden von Armel Tripon auf dem Neubau „L‘Occitane En Provence“. Der vor allem in der Mini- und Class40 Klasse erfolgreiche Designer Sam Manuard ließ einige Designprinzipien der erfolgreichen Soloklassen, vor allem den breiten Scowbug, in den Bau der Yacht einfließen. Wenn das ein wenig dickbäuchig wirkende Schiff auf dem Weltrennen Erfolg hat, dürfte das Design seines Imoca-Erstlings großen Einfluss auf die Entwicklung neuer Rennyachten haben.
Acht bis neun Tage bis zum Äquator
Die letzten Stunden bis zum Start haben die Skipperinnen und Skipper vor allem mit eingehender Wetteranalyse und der Ausarbeitung verschiedener Routenoptionen für die Hatz über den Atlantik verbracht, dazu kamen Videoanrufe bei Familie und Freunden. Will Harris, der mit Boris Herrmann mehrfach zusammen an Bord der „Seaexplorer – Yacht Club de Monaco“ an Doublehanded-Rennen teilnahm, gibt einen Ausblick auf das Renngeschehen der nächsten Tage: „Es wird nicht einfach bis zum Äquator. Bei der letzten Vendée Globe segelte die Flotte eine fantastische, schnelle und relativ direkte Route Richtung Süden. Dieses Jahr wird dieser Weg durch schwachen Wind vor der Küste Portugals blockiert, wahrscheinlich werden sich Boris und der Rest der Flotte für eine weiter westlich verlaufende Route entscheiden.“
Vermeiden die Skipper diese Schwachwindzone, verlängert sich aber auch die zu segelnde Gesamtdistanz. Derzeit ist das Wettergeschehen auf dem Nordatlantik mit mehreren sich von Westen verlagernden Tiefdruckgebieten sehr aktiv, so dass die Skipper sehr schnell hintereinander mit jedem neuen Windsystem die Bootskonfigurationen anpassen müssen. „Sobald die Kanarischen Inseln achteraus liegen, entspannt sich die Lage und Boris wird von den beständigen Passatwinden aus Osten profitieren“, prognostiziert Will Harris. „Nach unseren Berechnungen braucht Boris acht bis neun Tage bis zum Äquator.“
Das Vendée Globe Race, benannt nach dem französischen Département Vendée, gilt als das härteste Rennen der Welt für Solosegler. Die Spielregeln sind dabei recht einfach: Es geht darum, allein an Bord so schnell wie möglich ohne technische Hilfe von außen die Welt unter Segeln zu umrunden. Nach dem Start vor der Küste der Biskaya geht es über den Atlantik gen Südhalbkugel, dann vorbei an den drei berühmten Kaps. Das Kap der guten Hoffnung, Kap Leuwin und Kap Hoorn bleiben an Backbord, die Antarktis an Steuerbord. Wer als erstes wieder die Ziellinie vor Les Sables kreuzt, hat gewonnen.
Nach dem Start gilt es für Boris Herrmann und das im letzten Winter mit Foils der neuesten Generation ausgestattete Schiff zu beweisen, dass er zu den weltbesten Soloskippern gehört und den Herausforderungen des Rennens gewachsen ist. Neben seinem seglerischen Know-how wird auf See auch technisches Verständnis gefragt sein; denn alles, was an Bord durch die extremen Belastungen verschleißt oder kaputt geht, muss mit den vorhandenen Ersatzteilen vom Skipper selbst repariert werden. Dabei wird sich vermutlich die lange, intensive Vorbereitungszeit von Boris Herrmann und seinem Team auszahlen, die mit dem Boot, das 2015 gebaut wurde, seit rund vier Jahren kontinuierlich auf das Datum 8. November 2020 hinarbeiten. Die Kampagne gilt als die am besten organisierte und vorbereitete des ganzen Rennens.
Als Glückbringer begleitet den in Oldenburg aufgewachsenen Segler ein kleines, silbernes Medaillon des Heiligen Christopherus, der Schutzheilige der Reisenden und Fahrenden. Zudem hat Greta Thunberg, die er letztes Jahr an Bord der Rennyacht über den Atlantik zum Weltklimagipfel nach New York segelte, in verschiedenen Winkeln des Schiffes kleine Zettelchen mit Zeichnungen versteckt, die der Skipper vermutlich nach und nach entdecken wird.
Im Vorfeld und während der Regatta wird sich Boris Herrmann vor allem mit dem aktuellen Wettergeschehen und Wetterstudien auseinandersetzen, die maßgeblich den eingeschlagenen Kurs seiner Yacht beeinflussen. Zudem gilt es, sich wieder „Seebeine“ wachsen zu lassen und den Körper an den brutalen Schlaf-Wachrhythmus der kommenden rund 80 Tage zu gewöhnen. In den Nachtstunden wird er sich nie mehr als eine Stunde Schlaf am Stück gönnen, ist er in eher ruhigen Passatwinden unterwegs, plant er tagsüber ein wenig länger in der Koje zu pausieren. „Ziel ist es, niemals richtig müde zu sein“ sagt er. „Wir haben die Führung der Großschot so umgebaut, dass ich sie aus meiner Koje heraus bedienen kann.“
Die erste Herausforderung für die Seglerinnen und Segler ist bereits kurz nach dem Start die von den typischen Herbststürmen aufgepeitschte Biskaya. Ist die überwunden, können die Skipper auf dem Atlantik das ganz Potenzial ihrer Schiffe ausfahren. Neunzehn der 33 Einrumpfboote sind inzwischen mit Foils ausgestattet, darunter sieben Boote der allerneuesten Generation 2020. Bei optimalen Bedingungen haben sie ein Speedpotenzial von rund 40 Knoten.
Zur größten Gefahr der Soloskipper auf See gehört ein Ramming mit einem „UFO“ (unknown floating object). Um sich vor dem Zusammenstoß mit Walen oder größeren, im Wasser schwimmenden Gegenständen zu schützen, wurde an der Bord der Yacht das Vorausschau-System OSCAR installiert, das über Warntöne Hinweise auf ein sich näherndes Objekt über und unter Wasser gibt. Nach eigenen Angaben ist es dabei dem Team um Boris Herrmann erstmalig gelungen, Autopilot und OSCAR so zu koppeln, dass der Autopilot bei einer Gefahrenmeldung selbständig reagiert und den Kurs des Schiffes korrigiert, um eine Kollision zu vermeiden. Zusätzlich zu diesem System wurde vorne an der Kielfinne ein sogenannter Walpinger installiert, der auf speziellen Frequenzen die großen Meeresbewohner vor dem Herannahen des segelnden Rennboliden warnt.
Boris Herrmann, der im letzten Jahr durch den gemeinsamen Törn mit Greta Thunberg weltweite mediale Aufmerksamkeit erhielt, wird sich auch während der Regatta weiterhin für den Klimaschutz einsetzen und von Bord aus vor allem im Southern Ocean Messungen zur Erforschung des Klimawandels durchführen. Zur Datengewinnung wurde im Boot eine spezielle, etwa handkoffergroße Apparatur installiert, die an der Kielfinne Wasser ansaugt und dann den PH- und CO2 Wert des Wassers misst.
Die Essensportionen mit dehydrierter Nahrung, die durch die Zugabe von heißem Wasser quillt und so wieder ansatzweise schmackhaft gemacht wird, hat Bors Herrmann auf 80 Tage kalkuliert. Wobei er betont, dass er nicht so lange unterwegs sein möchte. Den aktuellen Rekord auf der rund 24.000 Seemeilen langen Strecke stellte bei der letzten Auflage des Rennens 2016/17 der Franzose Armel Le Cléac’h mit 74 Tagen, 3 Stunden, 35 Minuten und 46 Sekunden auf. Es wird erwartet, dass bei diesem Rennen die Rekordmarke auf unter 70 Tage gesenkt wird. Zum Kreis der Top-Favoriten zählen nach Einschätzung von Boris Herrmann neben dem britischen „Popstar des Segelns“ Alex Thomson auf „Hugo Boss“ die französischen Hochseesegler Thomas Ruyant auf „LinkedIn“, Charlie Dalin auf „Apivia“ und Jeremie Beyou auf „Charal“.
Das Auslaufen und der Start werden im Livestream gezeigt. Während des Rennens wird Boris Herrmann mit Text- und vor allem Videobotschaften regelmäßig über das Rennen berichten.
Für alle, die virtuell bei dem „Mount Everest“ der Meere mitsegeln wollen: https://www.vendeeglobe.org/fr/partenaires/211/virtual-regatta
Der DSV unterstützt die Kampagne als ideeller Partner und wünscht eine sichere, erfolgreiche und schnelle Reise.