Anja Fiedler aus Schwedeneck bei Kiel ist Europas erfolgreichste Eisseglerin. 2019 belegte sie bei der Weltmeisterschaft in den USA Rang sechs. Ihr Mann Holger Petzke wurde Vierter. Anja Fiedler verrät, warum Eissegeln so faszinierend ist.
Ein Leben ohne Wasser und ohne Wind ist für mich unvorstellbar. Und seitdem ich vor 22 Jahren das Eissegeln kennen und lieben gelernt habe, muss ich auch im Winter nicht mehr traurig sein und sehnsüchtig auf den Sommer warten. Wunderbar.
Mich fasziniert so vieles beim Eissegeln. Da ist zum einen die Geschwindigkeit. Wenn du deinen Schlitten anschiebst, reinspringst und das Gerät schon nach wenigen Sekunden enorm schnell ist, wenn du dann mit 70 oder 80 Stundenkilometern über das Eis flitzt – dann ist das einfach berauschend. Berauschend schön.
Eissegeln ist aber auch ein sehr technischer Sport. Mich reizt es, dass ich mich immer wieder mit den physikalischen Eigenschaften meines Materials und mit dem Trimm auseinandersetzen
muss. Welche Kufen wähle ich für welches Eis, wie schleife ich den Stahl, wie stimme ich Mast und Planke aufeinander ab, wie verändere ich den Segelschwerpunkt.
Kleinste Veränderungen – und schon bist du 20 Stundenkilometer schneller… oder eben auch langsamer. Sicher, meine Kenntnisse vom Europe-Segeln, vom Segeln allgemein, helfen mir natürlich auf dem Eis, doch es gibt Unterschiede, die ich enorm reizvoll finde. So siehst du auf dem Eis die Böen zum Beispiel nicht kommen. Du fühlst sie erst im Segel und musst dann reagieren. Das ist herausfordernd. Ich mag diesen Nervenkitzel.
Und dann ist da natürlich auch diese Verbundenheit mit der Natur: im Freien sein und die klare Winterluft einatmen, die Sonne fühlen, trotz der eisigen Temperaturen, die Kraft des Windes nutzen, die Ruhe an den Seen und auf dem Eis genießen. Wir, mein Mann und ich, reisen mit einem ausgebauten VW Crafter umher, in dem wir dann auch schlafen. Wenn ich morgens die Gardinen zurückschiebe und auf einen zugefrorenen See schauen kann – das ist einfach traumhaft. Und abends, wenn alle Schlitten verstaut sind und wir in geselliger Runde beisammensitzen, dann hat das etwas von einem Familientreffen: Egal, ob auf dem Mälaren in Schweden, in Ungarn, im Baltikum oder in Mecklenburg-Vorpommern – wir sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Und alle sind ein wenig eissegelverrückt. Liebenswert verrückt. Das verbindet. Das macht Spaß.
Ich wundere mich ein wenig, dass nicht mehr Frauen beim Eissegeln dabei sind. Das geringere Körpergewicht kann durch biegsamere Masten gut aufgefangen werden. Und mit der richtigen Bekleidung friert man auch nicht. Ich habe bei Sommer-Regatten zwischen den Wettfahrten schon viel mehr gezittert. Also, los, Frauen, versucht es einmal im nächsten Winter!
Anja Fiedler arbeitet im Personalmanagement und war schon als Säugling mit ihren Eltern auf den Gewässern der Mecklenburger Seenplatte unterwegs. Im Sommer gibt die erfolgreiche Europe-Regattaseglerin (unter anderem Zweite der Europe-Master-EM 2016) ihre Erfahrungen als Trainerin in Kiel-Schilksee an Jugendliche weiter.