Zwanzig Zentimeter über dem Eis im Rumpf des Schlittens liegen, drei messerscharfe Kufen unter dem Rumpf, das Rigg über dem Körper, die Schot noch einmal dichter holen und dann mit mehr als 100 Stundenkilometern über das spiegelglatte Eis sausen. Die Kälte von unten spüren, den eisigen Fahrtwind im Gesicht, das laute Rattern des Stahls auf dem Eis in den Ohren. „Das ist Adrenalin pur, das ist berauschend,“, beschreibt Bernd Zeiger sein Gefühl beim Eissegeln. Der Vorsitzende des DSV-Ausschusses für Eis-, Land- und Strandsegeln lebt in Kiel, war und ist passionierter Segler auf bewegtem Wasser. Doch seitdem der 50-jährige 1984 zum ersten Male auf einem Eisschlitten über den Wittensee flitzte, ist es „um mich geschehen“.
Geschwindigkeitsrausch und Gruppenfeeling
Im DSV sind rund 360 Eissegler mit einer Segelnummer registriert, die Fangemeinde in Deutschland wird auf weit über 1000 Anhänger geschätzt. Tendenz steigend. Was genau macht sie aus, die Trendsportart Eissegeln?
Da ist zuerst einmal die Geschwindigkeit. Beinahe ohne Verlust wird die Windkraft hier direkt in Geschwindigkeit umgesetzt – 100 Stundenkilometer sind kein Hexenwerk. Der nachweisbare Rekord liegt bei 135 Stundenkilometer. Andere Werte ohne Nachweis sind nicht ausgeschlossen. Und bei derart hohen Geschwindigkeiten den Schlitten unter Kontrolle zu behalten, das sei eine echte Herausforderung und „damit überaus reizvoll“. Bernd Zeiger weiß, wovon er spricht.
Neben den vielen technischen Möglichkeiten, den Schlitten optimal zu trimmen, reizt bei den Eisseglern auch das Miteinander in der Gruppe. Und diese Gemeinschaft scheint noch intensiver zu sein als in anderen Sportarten, denn Spontanität ist angesagt und wird zum Wesenszug, der vereint. Denn nur selten ist das Eis perfekt in Deutschland. Also gibt es den telefonischen Rundruf, Eissegler treffen sich und fahren gemeinsam im Konvoi ins polnische Masuren, ins Baltikum oder nach Nordschweden. Eine Szene, die Spaß macht, in der junge Heißsporne und erfahrene Ältere das Reisen, den Sport und die Zeit miteinander genießen.
Flexibilität ist auch bei Wettfahrten gefragt. Selten werden nationale und internationale Regatten und Meisterschaften auf den ursprünglich geplanten Gewässern auch ausgetragen. In Abhängigkeit von der Eis-Lage veröffentlichen Organisatoren kurzfristig die aktuellen Regattaorte auf der Homepage www.eissegeln.org.
Vom Lastensegler zum Sportgerät
Übrigens: Die ersten Eissegler waren vermutlich holländische Fischer. Sie bauten im 17. Jahrhundert Kufen unter ihre Boote, um auch bei zugefrorenen Seen weiterarbeiten und leben zu können. Aus den Lastenseglern entwickelten Segelverrückte Jahre später Freizeitgeräte: 1865 wurde am Hudson River in den USA der erste Eissegelclub der Welt gegründet. 1930 schrieb die „Detroit News“ einen Konstrukteurs-Wettbewerb aus, Ergebnis ist der sogenannte DN-Schlitten, der bis heute auch als Einheitsklasse für Wettkämpfe gilt. Das Gerät ist 3,60 Meter lang, sein Rumpf nur 21 Kilogramm schwer – es passt also auf jedes Autodach und ist somit bequem zu transportieren.
Einen Anhänger benötigt man für die zweite Schlittenklasse, die Monotype XV-Eisyacht. Sie ist 7,45 Meter lang, hat rund 15 Quadratmeter Segelfläche, wurde 1932 konstruiert und ist auch heute noch komplett aus Holz gefertigt (www.monotype-xv.org). Das Besondere: Die Yacht ist zweisitzig, Steuermann und Schotmann, der rückwärts zur Fahrtrichtung sitzt, teilen sich die Aufgaben. „So kann auf der Monotype auch mal ein Anfänger mitfahren“, sagt Michael Oswald. „Und dann hinterher entscheiden, ob er Spaß an der Geschwindigkeit hat.“ Oswald wohnt am Steinhuder Meer, ist hauptberuflich Rechtsanwalt, nebenberuflich Mitglied im DSV-Ausschuss für Eis-, Land- und Strandsegeln, und in seiner Freizeit: ambitionierter Eissegler.
Eissegel-Schnupperstunden
Wer einfach mal reinschnuppern möchte in diese rasante Sportart, sollte nicht sofort eine kostspielige Ausrüstung anschaffen. Zwar gibt es keine Segelschulen in Deutschland, die Eissegel-Kurse anbieten, aber einige Vereine haben Schlitten in ihren Werften – Nachfragen lohnt sich also. Andere Alternative: Nehmen Sie Kontakt zu den regionalen Flotten auf (www.eissegeln.org) und fahren dann ans Steinhuder Meer, zum Dümmer oder Großen Plöner See, an den Rottach See oder Wörthsee. Dort können Sie zuschauen, ausprobieren oder vielleicht auch einmal mitfahren.
Ausrüstung
Sie haben Feuer gefangen? Neben einem Schlitten mit komplettem Rigg, für den es durchaus einen Gebraucht-Markt gibt (u.a. Ebay-Kleinanzeigen), benötigen Sie anfangs zwei Paar Kufen für verschiedene Eis-Arten, einen warmen Overall, Schuhe mit Spikes und einen Helm aus dem Skibereich. Integralhelme mit Kinnschutz schränken die Bewegung und Sicht zu stark ein. Zum Sicherheitskonzept gehören auch zwei Eis-Spicker, die Eissegler immer am Körper tragen. Wer doch einmal einbricht, kann sich damit aus dem Wasser auf die Eisoberfläche zurückziehen. Lassen Sie sich möglichst von einem erfahrenen Eissegler beraten.
DSV-Empfehlung: Eissegelschein
Segelerfahrungen sind beim Eissegeln natürlich hilfreich. Da aber besondere Vorfahrtsregeln gelten, ist seit dem vergangenen Jahr ein spezieller DSV-Eissegelschein für die Teilnahme an Regatten notwendig. Der DSV empfiehlt auf jeden Fall den Erwerb dieses Scheins. Grund: Für einige Reviere in Deutschland ist diese Lizenz grundsätzlich Pflicht, u.a. für den Dümmer See und das Steinhuder Meer. Also unbedingt klären, bevor Sie aufs Eis gehen. Und spätestens im Schadensfall fragt auch die Haftpflichtversicherung danach.